„Portfolios sind so individuell wie ihre Besitzer und sehen bei jedem Kind und in jeder Kita anders aus. Manche Einrichtungen verwenden Vorlagen, andere gestalten sie ganz frei. Manchmal sind es laminierte Fotodokumentationen, ein ander mal eine Sammlung verschiedener Gegenstände, Zeichnungen und Bilder in einem Karton. Richtig oder falsch gibt es hierbei nicht. Wichtig ist, dass das Portfolio aussagekräftig ist und dass es die erreichten Meilensteine in der kindlichen Entwicklung aufgreift. Lina kann jetzt frei stehen. Marius malt jetzt keine Kopffüßler mehr. Darüber hinaus soll jedes Portfolio den individuellen Lernweg des Kindes dokumentieren. Wie hat das Kind diese Kompetenz erworben? Welchen Weg hat es dafür eingeschlagen?“ Herder.de 31.05.2020
Diese Zeilen beschreiben deutlich, dass es für das Portfolio eines Kindes im Kindergarten keine bestimmte Norm in der Art und Weise, in der Form und in den Inhalten gibt. Der einzige festgelegte, aber wichtigste Punkt ist, dass das Portfolio INDIVIDUELL für jedes Kind geführt wird. Ein Portfolio soll kein Erinnerungsalbum über die Höhepunkte, Tagesabläufe, Feste und Feiern in der Kindergartenzeit sein, sondern die individuellen Schritte und individuellen Höhepunkte des Kindes dokumentieren.
Aber wie kann ich diese individuellen Schritte dokumentieren und festhalten?
Wie bringe ich sie in das Portfolio des Kindes ein?
Und vor allem wann?
Diese Fragen stellt sich sicherlich jede/r Erzieher*in in ihrer Laufbahn. Der Alltag in der Kindereinrichtung ist oft so gefüllt, dass für die Portfolios kaum Zeit übrig ist. Deshalb setzen sich viele ErzieherInnen während der kindfreien Zeit an die Gestaltung der Portfolios der Kinder. Diese kindfreie Zeit sollte aber neben den anderen Vor- und Nachbereitungen des Kindergartenalltages auch für die Beobachtungen und Dokumentationen genutzt werden, die die Grundlage u.a. für die Inhalte im Tageslauf sind. Die Lerngeschichten, mit denen die Kinder in persönlichen wertschätzenden Zeilen überrascht werden sollen, werden natürlich nicht unter den Augen des Kindes in Form gebracht.
Aber die Entwicklungsschritte und Höhepunkte der Kinder auf Fotos und in künstlerischen Ergebnissen werden im Beisein der Kinder und vor allem gemeinsam mit den Kindern festgehalten und gestaltet. Das Portfolio gehört jedem Kind selbst. Deshalb ist es auch angebracht, die Kinder an der Gestaltung mit einzubeziehen und teilhaben zu lassen. Individueller können Portfolios nicht angelegt werden und selbst hier sind nebenbei die Beobachtung zur aktuellen Entwicklung und vielleicht sogar eines neuen individuellen Entwicklungsschrittes wunderbar möglich.
Die Gestaltungsmöglichkeiten zusammen mit dem Kind sind unendlich und es können fast wie nebenbei sogar noch alle Bildungsbereiche bedient und beobachtet werden:
Pauline ist vier Jahre alt geworden und klebt neben ihr Geburtstagsfoto vier Punkte dazu, die sie selbst aus dem roten Papier ausgeschnitten hat. Völlig egal, ob die Punkte rund oder eckig geworden sind. Pauline hat es allein geschafft: zählen, schneiden, Farbe erkennen, kleben, anordnen.
Egon geht nun bald in die Schule und ist während der Kindergartenzeit richtig groß geworden. Er möchte das in seinem Portfolio festhalten, um später mal zu wissen, wie groß er vor seinem Schuleintritt war. Die Erzieherin misst seine Größe und schreibt ihm die Zahlen auf. Selbstständig legt er das Maßband hin, sucht die Zahlen vom Zettel auf dem Maßband und rollt grüne Wolle bis zu den Zahlen aus. Dort schneidet er die Wolle ab. Nun kann er den Faden auf ein Blatt aufkleben. Dafür werden ihm verschiedene Möglichkeiten auf verschiedenen Blättern angeboten: im Zick Zack, in Schlangenlinien, in Form eine Schnecke … Er kann die Wolle aber auch ganz nach seinen eigenen Ideen aufkleben. Beim Ausprobieren entdeckt er, wie unterschiedlich der Faden aussehen kann, aber doch immer die gleiche Länge hat. Egon entscheidet sich für Zick-Zack-Linien auf einem blauen Blatt, denn auf einem grünen Blatt würde man den grünen Faden nicht so gut sehen.
Sebastian und Lina fegten mit Begeisterung das bunte Herbstlaub zusammen. Diese Begeisterung hat die Erzieherin auf Fotos festgehalten. Einige Tage später kleben sie ihre Fotos auf, damit sie als stolze Erinnerung ins Portfolio können. Die Erzieherin schenkt ihnen die Idee, gepresste Herbstblätter um die Fotos zu kleben. Sie könnten auch ein trockenes Herbstblatt unter das Papier legen und mit einem Stift schraffieren, um die Struktur des getrockneten Blattes hervor zu heben. Die Kinder erinnern sich, dass sie vor einigen Tagen große und kleine Herbstblätter gesammelt und zwischen Zeitungen in dicken Büchern gepresst haben. In diesem Prozess des Sammelns, Pressens und Verwenden der getrockneten Herbstblätter gab es für Sebastian und Lina viel zu entdecken und zu lernen.
Aber wann ist denn nun während des Alltages im Kindergarten Zeit für diese individuellen Portfolios?
Nun zuallererst bietet der Tageslauf im Kindergarten immer wieder „Lücken“, in denen ein Kind sein Portfolio gestalten kann. Kommt es morgens sehr zeitig in die Einrichtung, ist die individuelle Zeit am intensivsten, da nur wenige Kinder da sind. Wenn die Bezugserzieherin am Morgen anwesend ist, bietet sie z.B. dem Kind an, das Foto vom Geburtstag aufzukleben und das Blatt zu gestalten. Im folgenden Austausch der Erinnerungen an diesen Tag werden für die Gestaltung des Blattes Ideen geschmiedet oder vielleicht sogar vom Kind diktierte Zeilen dazu geschrieben.
Ebenso bietet der Nachmittag diese Lösung, wenn ein Kind oft länger als die meisten anderen Kinder da ist. Existiert eine fertige Kiste mit Materialien für das Portfolio, kann diese beim Rausgehen geschnappt werden und einer Portfoliozeit im Garten steht nichts im Weg.
Aber auch während der Spielzeit am Vormittag gibt es immer wieder Übergangsphasen, in denen das Portfolio einen festen Stellenwert haben kann. Manch Kind findet nicht gleich in ein Spiel oder wechselt mehrmals die Spielinhalte. Viele Kinder schauen sich auch sehr gern immer wieder ihre selbst gestalteten Blätter im Portfolio an. Das sind wunderbare Aufhänger, sollten noch Fotos auf´s Einkleben warten.
Gibt es künstlerische Werke oder Fotos, die die ganze Gruppe betreffen, kann eine Portfoliowoche eingelegt werden. Je nach Alter der Kinder werden sie entsprechend begleitet oder verschiedene Ideen zur selbstständigen Auswahl angeboten. Es müssen nicht immer zusätzliche Angebote zum Schneiden, Malen, „Basteln“ vorbereitet werden. Während der Gestaltung des eigenen Portfolios sind alle Kinder begeistert und schneiden und malen „freiwillig“. Selbst Anton, der Blumen und Schmetterlinge aus Papier so gar nicht mag, klebt seine ausgeschnittene Blume unter das Foto von der Frühlingswanderung und ist stolz darauf.
In Vorbereitung auf unser Herbstfest „Kartoffelernte“ erforschten wir gemeinsam in unserem Projekt „Kartoffel“ viel Wissenswertes über diese gesunde Sättigungsbeilage. Neben anderen Begriffen wie Knolle, Erdapfel übten wir uns auch im Anbau einer Kartoffel in einem riesigen Blumentopf und der Beobachtung und Pflege beim Wachsen. Wir stellten ein Kartoffelmemory her, kochten Pellkartoffeln, lasen und spielten die Geschichte vom Kartoffelkönig. Aufgabenschalen boten zusätzliche Inhalte zu den Bildungsbereichen. Zum Abschluss des Projektes besuchten wir ein Dorfmuseum, das uns an der Ernte und der Zubereitung der Kartoffel teilhaben ließ. Jedes Kind hat im Rahmen dieses Projektes seine Aufgaben in individuellen Schritten gemeistert, welche wir in Bildern festgehalten haben. Diese galt es nun, ins Portfolio zu bringen: Wir legten alle Fotos und Kunstwerke auf einen Tisch und gaben den Kindern Zeit, diese anzusehen. Interessant, welche Gespräche die Kinder untereinander dazu führten, welche gegenseitigen Fragen und Antworten sie sich gaben. Wir schmiedeten gemeinsam Ideen, wie wir nun die vergangene Kartoffelzeit auf Papier gestalten und in das Portfolio machen könnten. Nachdem wir gemeinsam das Material zusammen geholt hatten, konnte jeder die Fotos nehmen, die er in sein Portfolio tun wollte und loslegen. Damit auch jedes Kind genügend Zeit für die Pläne und deren Umsetzung bekommt, haben wir dieses Projekt in einer Portfoliowoche abgeschlossen.
Es gibt viele Möglichkeiten, Zeit für das Portfolio einzuplanen. Auch in Aufgabenschalen können mal Fotos und Werke liegen und die Kinder bekommen einen vorgegebenen Zeitrahmen für die Erledigung.
Entwicklungsschritte sind individuell. Entwicklungsschritte meistern nicht alle Kinder zu selben Zeit. Wenn das Portfolio für Entwicklungsschritte genutzt wird und nicht als Erinnerungsalbum für die Kindergartenzeit gesehen wird, bietet der Alltag genügend Momente, den Kindern die eigene Gestaltung ihrer eigenen Entwicklungsschritte in ihrem eigenen Portfolio zu ermöglichen. Werden die Kinder von Anfang an mit einbezogen, dann kennen sie sich von mal zu mal besser aus, haben eigene Ideen und wissen, wo das Material ist … so kann die Portfoliozeit auch (fast) ein Selbstläufer werden.
Heike von
https://www.herder.de/kindergarten-paedagogik/kindergartenalltag/portfolio/ 31.05.2020